Der schönste Stern am Himmel

Es war meine erste Schwangerschaft, ich freute mich bereits mein ganzes Leben auf diese Zeit, von Kind an träumte ich davon selbst Mama zu sein und eine große Familie zu gründen. Jetzt war es endlich so weit, ich hatte den Mann meines Lebens nach 7 Jahren geheiratet, wir fühlten uns beide bereit den nächsten Schritt zu wagen und begannen, daran zu basteln. Bereits nach einem Monat hat es eingeschlagen und wir konnten unser Glück kaum fassen. Ich hatte etwas Angst dass es lange nicht funktionieren könnte, doch damit waren alle Sorgen aus dem Weg geräumt. Ich habe es auch sofort selbst gespürt, bereits 10 Tage vorm Ausbleiben der Periode wusste ich tief in mir drinnen, dass ich schwanger bin, was dann 2 Wochen später die 3 Schwangerschaftstests bestätigten. Ich hatte keine richtigen Beschwerden, nur starkes Spannen in den Brüsten, aber sonst ging es mir richtig gut. Den ersten Termin bei der Gynäkologin hatten wir erst in der 9. SSW. Wir freuten uns riesig darauf, mein Mann kam mit und voller Zuversicht plauderte ich mit der Ordinationsgehilfin während sie mir Blut abnahm. Bei der Untersuchung folgte zuerst der Krebsabstrich, der Muttermund schaut sehr gut aus, jetzt kommen wir zu den spannenden Teil, der Ultraschall. Da ist der Dottersack, da liegt das Butzi drinnen, ich konnte bereits den kleinen weißen Punkt erkennen und hatte sofort ein ungutes Gefühl, das müsste doch größer sein. Die Ärztin wurde ruhiger, leider ist es zu klein für die errechnete SSW. Und leider.... ist auch kein Herzschlag zu erkennen.
Stille, ein tiefer Stich ins Herz, NEIN, bitte nicht, bitte, bitte nicht. WARUM? Was hab ich falsch gemacht, innerhalb weniger Sekunden bin ich die letzten Wochen durchgegangen, war es beim Schifahren? Habe ich etwas Falsches gegessen, habe ich mich in der Arbeit überschätzt? Lag es an dem Streit vor ein paar Wochen dem ich mit meinem Mann geführt habe? Warum habe ich es nicht gemerkt? Wie dumm und blöd kann man sein, dass man sowas nicht merkt? Ich dachte, solange ich keine Blutung habe, ist alles in Ordnung. Wie naiv von mir. Ja stimmt, mein Brust spannen hat nachgelassen und ich dachte mir nichts dabei, selbst Schuld. Missed Abort? Ich habe noch nie was davon gehört und ich bin eine Krankenschwester. Was bin ich nur für ein dummer Mensch. 
Meine Ärztin erklärte mir dass sie mich ins Krankenhaus überweisen muss, dass wahrscheinlich eine medikamentöse Therapie und/oder eventuell eine kleine OP, eine Kürettage notwendig sei, ich dachte oh Gott, bitte nicht, ich will nicht ins Krankenhaus, ich will doch einfach nur ein Baby haben. Warum geht das nicht? Bei allen anderen geht das doch auch. Ich bin jung, gesund, habe mich an alles gehalten, habe die letzten Wochen alles dafür getan dass sich unser Baby wohl in mir fühlt und zu einem gesunden und glücklichen Mensch heranwachsen kann. Warum wollte es nicht bei mir bleiben? Habe ich kein Baby verdient? Wahrscheinlich.
Nebenbei erklärte sie uns dass es dafür keinen Grund gibt, dass man nichts hinterfragen soll, dass keiner etwas falsch gemacht hat, dass es nie wer beantworten kann, dass passiert einfach. Sicher ist es sehr bitter bei der ersten Schwangerschaft, aber es hat absolut keinen Einfluss auf die weiteren Schwangerschaften. Wer sagt das? Wer garantiert mir das? Wer hat gesagt dass es bei dieser Schwangerschaft nicht funktionieren wird? Den Mutter-Kind-Pass hält sie in der Hand, schon für mich vorbereitet, wie habe ich mich darauf gefreut. Den behält sie, den hab ich mir nicht verdient, als hätte ich die Prüfung nicht bestanden. Ob ich das Bild trotzdem behalten möchte? Ich antwortete sofort mit Ja und hielt meine Hand hin. Mein Schatz, das einzige was mir geblieben ist.
Voller Scham, weil ich vorher so unbekümmert mit ihr über meine Schwangerschaft gesprochen habe, ging ich zurück zur Ordinationsgehilfin um meine Rechnung abzuholen. Sie schaute mich mitleidig an. Wir verließen die Praxis, draußen schauten mein Mann und ich das erste Mal an, beide unter Schock, wir umarmten uns. Wir stiegen ins Auto.. plötzlich während der Fahrt kamen die Tränen. Wir weinten beide, zu Hause kam eine Nachricht von meiner Mama, ich soll ihr gleich schreiben wenn ich fertig bin, sie ist schon so gespannt. Wie soll ich ihr das jetzt sagen? Ich will sie doch nicht enttäuschen, ich will auf keinen Fall dass sie wegen mir traurig ist. Ich rief sie an, teilte ihr ferngesteuert mit, dass es leider nicht „passt“, unser Baby ist leider viel zu klein und hat auch keinen Herzschlag, es tut mir leid. Sie munterte mich auf, wer weiß für was es gut ist, es wird schon seinen Grund haben. 
Mein Mann und ich lagen uns in unseren Armen und weinten stundenlang, ich dachte mir nur immer wieder wie unendlich traurig man eigentlich sein kann und hatte gegenüber meinen Mann ein schlechtes Gewissen dass ich ihn, in so eine Situation gebracht habe. Ich begann im Internet zu recherchieren, las zig traurige Erfahrungsberichte über stille Geburten und weinte noch mehr. Am Abend teilten wir es in Tränen meinen Schwiegereltern mit, eigentlich wollten wir ihnen heute offiziell mitteilen dass ich schwanger bin, vermutet haben sie es bereits. Ich habe bereits ein kleines Geschenk für sie gekauft, um ihnen die Nachricht zu überbringen, es fehlte nur noch das Ultraschallbild. Wir blieben ein paar Stunden, zeigten ihnen das Ultraschallbild, sie trösteten uns, wir sollten dem Baby einen Namen geben, sagte meine Schwiegermama, es gehört jetzt zu unserer Familie, es wird für immer unser erstes Kind bleiben, es wird unser Schutzengel sein, ja ein Mädchen wäre es geworden sagte ich, das weiß ich ganz sicher.
Im Bett weinte ich weiter, mein Mann machte plötzlich den Vorschlag unser Sternenkind „Flora“ zu nennen. Flora – es fühlte sich absolut richtig an, der perfekte Name. Er sagte, dass wir uns einen schönen Stern aussuchen und ihn nach unserer Flora benennen, Ja das ist eine schöne Idee, wir sind jetzt Sterneneltern.
Am nächsten Tag am Morgen saßen wir bereits im Krankenhaus in der Gyn-Ambulanz. Wir warteten 2 Stunden zwischen vielen Schwangeren, ich hörte immer wieder Babygeschrei von der Station. Ich weinte immer wieder leise, hielt Ausschau nach einer Frau der es vielleicht auch so gehen könnte wie mir, doch ich sah nur Babybäuche um mich herum. Ich dachte mir Gott sei Dank, ich wünsche sowas niemanden. Anscheinend bin ich alleine damit.
Die Ärztin im Krankenhaus sah mich ebenfalls voller Mitleid an, als ich ihr in Tränen antwortete, dass es meine erste Schwangerschaft ist und ja es war gestern unser erster Termin. Sie untersuchte mich nochmal um die Diagnose zu bestätigen, doch ich wusste dass es so ist, ich hatte absolut keinen Hoffnungsschimmer mehr. Sie klärte mich über 3 verschiedene Optionen auf: Kürettage, medikamentös oder Abwarten. Was ist die schonendste Option? Und Abwarten? Wie lange? Ich will doch einfach nur so bald wie möglich wieder schwanger werden. Ich entschied mich für die medikamentöse Therapie mittels Mifegyne und Cytotec. Ich musste gleich die Mifegyne Tablette zur Vorbereitung schlucken und soll in 2 Tagen zur Aufnahme kommen, und erhalte weitere 4 Tabletten Cytotec die vaginal eingeführt werden, diese lösen dann wehenartige Schmerzen aus und nach einigen Stunden soll es abgegangen sein und ich darf nach Hause. Evtl. muss ich 1 Nacht bleiben, zu 95 % funktioniert diese Methode, falls nicht alles abgeht, benötige ich dann doch noch eine Kürettage. Ob ich noch Fragen habe, wie groß es denn bitte ist? 7 Millimeter, wann wäre denn der Geburtstermin gewesen? Am 03.09.2023. Wann es denn ca. abgestorben ist? Wahrscheinlich vor 2 Wochen.
Wieder zu Hause begann ich langsam zu realisieren, ich weinte, hielt mein Ultraschallbild in der Hand, trauerte um mein Baby, um die bereits ausgemalte Zukunft. Ich las den ganzen Tag Erfahrungsberichte, weinte, zündete eine Kerze für unser Baby an, schrieb am Abend den Brief an sie. Ich blieb so lange wach, bis die Kerze komplett niedergebrannt ist, das nahm ich mir ganz fest vor und dann geht die Blutung von selbst los und ich benötige die medikamentöse Therapie nicht. Ich kämpfte gegen das Einschlafen, mein Mann kämpfte mit mir mit, er schlief dann irgendwann ein, um 02:00 morgens war sie endlich niedergebrannt, ich dachte mir, so lange ich gegen das Einschlafen kämpfe wird das Baby auch kämpfen und nicht von alleine rausgehen. Die Blutung setzte nicht ein, insgeheim wusste ich dass es nicht von alleine weggehen würde, ich wollte es ja auch noch nicht hergeben. Wir gingen ins Bett.

Am Freitag war es nun so weit, wir fuhren erneut ins Krankenhaus, ich wurde erneut gynäkologisch untersucht, sah mein kleines Baby das letzte Mal am Bildschirm. Die 4 Tabletten wurden vaginal eingeführt. Ich kann so viel Schmerzmittel haben wie ich benötige, sagte mir der Arzt, ich ging auf die Station, weg von der Gyn-Station damit ich nicht zwischen Babygeschrei und Schwangeren sein muss. Nach ca. einer halben Stunde begannen langsam die ersten Wehen, ich bekam mein Bett und das erste Schmerzmittel, die Schmerzen ließen wieder nach. Die Blutung setzte langsam ein, ist doch gar nicht so schlimm dachte ich mir. Nach einer Stunde wurden die Schmerzen wieder heftiger, sie hielten an, gingen nicht mehr weg, ich musste sie wegatmen, stöhnte immer lauter, krümmte mich vor Schmerzen, ich hatte noch nie solche Schmerzen. Ich konnte nicht mehr, wie lange geht das noch, wie lange muss ich das noch aushalten wenn ich am Ende nicht mal was davon habe? Mein Mann war immer bei mir, streichelte und massierte meinen  Rücken, ich übergab mich. Er fragte für mich um ein weiteres Schmerzmittel, ich erhielt ein sehr starkes Schmerzmittel, mir wurde schwindlig, ich döste 2 Stunden vor mich hin, die Schmerzen ließen nach, ich konnte mich entspannen, nach 2,5 Stunden konnte ich wieder aufstehen, ich ging auf die Toilette, es ging viel Blut und „ein größeres hellrosa Stück“ ab Die Schmerzen waren plötzlich weg. Ich hoffte dass es reicht was ich ausgeschieden habe, wollte nichts sagen, meldete es nicht der Schwester, ich wollte nicht dass sie es mitnimmt – für immer. Ich wollte es noch kurz behalten, die Zeit anhalten, ich sagte auch erst nach einiger Zeit meinen Mann dass ich glaube dass es weg ist, ob er es anschauen will. Nein, er glaubt das will er nicht. Die Schwester kam von selbst um nachzuschauen wie es mir geht, ich wollte gerade läuten, log ich, ich habe ein großes Stück ausgeschieden, ich weiß nicht ob es reicht. Sie begutachtete es, sie glaubt schon, und nahm die Schüssel mit und weg war mein Baby. Ich musste wieder zur Untersuchung in die Gyn-Ambulanz gehen, mein Mann begleitete mich, mir war noch sehr schwindlig, ich fühlte mich schwach, wie ein Geist, wie eine leere Hülle. Ja es war „erfolgreich“, es ist alles weg, war das Ergebnis der Untersuchung. Ich war sehr erleichtert dass keine OP notwendig ist. Mir wurde empfohlen dass ich eine Nacht bleibe aufgrund der Kreislaufsituation, auch die Schmerzen können in der Nacht wieder stärker werden, das machte mir große Angst, die halte ich nicht nochmal aus, ich blieb freiwillig eine Nacht stationär. Mein Mann blieb bis spät abends bei mir, ich war froh als ich alleine war, das erste Mal seit Dienstag, der Tag an dem wir „es“ erfahren haben. Ich fühlte mich sehr wohl im Krankenhaus, in meinem Einzelzimmer, endlich mal weg von zu Hause, meiner Traurigkeitshöhle. Ich weinte an dem Abend nicht mehr.


Der Brief an mein Sternenkind:
Meine liebste Flora,

genau so bunt und fröhlich, voller Hoffnung und grenzenloser Liebe wie sich dein Name anhört, so hast du uns auch die letzten Wochen seit wir von deiner Anwesenheit wussten, gestaltet.
Du warst auf einmal da, in mir drinnen, das war ein unglaubliches Gefühl, was mich plötzlich mit großem Stolz erfüllte. Ich trug ein kleines, großes Geheimnis in mir, ich konnte mein Glück kaum fassen.
Wir haben dich sofort in unser Herz geschlossen und dich über alles geliebt und uns wahnsinnig darauf gefreut dich in unsere Arme schließen zu können und das obwohl du unser bisheriges und gewohntes Leben vollkommen auf den Kopf gestellt hättest. Doch wir konnten es kaum erwarten, dass du endlich da bist, du hast uns zu den 2 glücklichsten Menschen gemacht.

Leider hast du dich schnell wieder aus meinen  Bauch verabschiedet und unser vollkommenes Glück und unsere Vorfreude zerplatzte plötzlich wie eine Seifenblase. Ich frage mich warum du nicht bei mir bleiben wolltest, warum du einfach so gegangen bist und vor allem warum ich es nicht selbst gemerkt habe. Eine gute Mutter müsste doch eigentlich spüren, wenn es ihrem geliebten Kind nicht gut geht und es sogar stirbt. Ich hätte alles für dich getan und dich unendlich geliebt, habe mir schon ausgemalt wie du wohl aussehen wirst, welche Charakterzüge du wohl haben wirst und mir vorgestellt wie ich schon bald stolz mit dem Kinderwagen spazieren gehen darf. Du warst aus unserer Zukunft nicht mehr wegzudenken, jeden Tag sprachen wir über dich und stellten uns alle mögliche Situationen vor. Wir waren immer noch fasziniert von dem Wunder der Natur dass du überhaupt entstanden bist und ich war auch extrem dankbar und stolz etwas von deinem Papa in mir tragen zu dürfen. Das größte Geschenk der Welt und etwas was uns für immer verbinden wird. Etwas was nur wir beide gemeinsam erschaffen haben. 
Aber du hast dich anders entschieden, oder hast du dich entschieden? Wer hat das entschieden? Darauf werde ich nie eine Antwort bekommen.  
Falls du dich dafür entschieden hast, hattest du bestimmt einen guten Grund dafür, hattest vielleicht noch etwas ganz Wichtiges zu erledigen, oder du wolltest uns von vornherein nur einen kurzen Besuch abstatten. Egal warum, ich werde dich für immer lieben und du hast einen festen Platz in meinem Herzen – für immer. Du wirst für immer unser erstes Kind bleiben und für unsere hoffentlich zukünftigen Kinder immer eine große Schwester bleiben, auf die sie hinaufschauen können, die immer da ist und sie immer beschützen wird.

Auch wenn uns Himmel und Erden trennen, wird niemals etwas an der Tatsache ändern, dass du mich zu deiner Mama gemacht hast.
Dieser Satz tut so unendlich weh, aber tut trotzdem so gut ihn zu lesen. Ich habe ihn mir die ersten Tage nach dem wir von deinem „Gehen“ erfahren haben, immer und immer wieder durchgelesen. Er hat mir immer wieder fast mein Herz zerrissen und trotzdem liebe ich die Vorstellung dass du dich mich bewusst ausgesucht hast und mich zu deiner Mama auserwählt hast. 
Ich weiß dass ich dich loslassen muss, dass ich wieder aufstehen muss und wieder Kraft sammeln muss, nur weiß ich noch nicht genau wie.  Manchmal würde ich am liebsten für immer in meiner Traurigkeitshöhle bleiben, der Gedanke an die Zukunft macht mir Angst und ich traue mir nicht zu wieder in den Alltag einzusteigen, meine Traurigkeit herzugeben und vor allem dich loszulassen. Am liebsten würde ich dich behalten – für immer, aber die Natur hat es anders gewollt.
Niemand wird jemals die Stärke meiner Liebe zu dir erfahren, du bist die Einzige die mein Herz von innen kennt.
Es ist erstaunlich und unbegreiflich welche Spuren du mit deinen kleinen 7 Millimetern in dieser kurzen Zeit in unseren Herzen hinterlassen hast. Ich bin extrem dankbar dass ich dir für kurze Zeit eine Heimat schenken durfte.
Zieh weiter kleine Seele, du hast für immer einen Platz in meinem Herzen. Vielleicht lerne ich dich eines Tages wirklich kennen. Ich werde für immer deine Mama bleiben und dich unendlich lieben.

Danke für alles, deine Mama.

P.S. Wir werden einen Stern, den allerschönsten Stern für dich aussuchen, von dem du zu uns hinunterblicken kannst.
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