Die selbstbestimmte Fehlgeburt

Der Umgang mit Fehlgeburten hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Während es vor 70 Jahren noch üblich war, die Stille Geburt zu Hause zu erleben, sind Stille Geburten (genau wie normale Geburten) in den letzten 30 Jahren Teil der medizinischen Institutionen geworden und werden häufig leider genauso kühl und distanziert „behandelt“ wie eine Bypass-OP. Das muss aber nicht sein und ich finde es wichtig, dass wir Frauen dafür einstehen, dass wir mit Respekt und Empathie behandelt werden – in jeder Lebenssituation, aber insbesondere bei einem Kindsverlust. Weder müssen wir unsere Bedürfnisse in einer so sensiblen Situation zurückstellen, noch müssen wir die Verantwortung abgeben. Im Gegenteil: Wir sollten selbstbewusst für uns und unser totes Baby einstehen und dafür sorgen, dass es uns so gut geht, wie es in einer so traurigen Situation nur möglich ist.

Wir sollten selbstbewusst für uns – und unser totes Baby – einstehen und dafür sorgen, dass es uns so gut geht, wie es in einer so traurigen Situation nur möglich ist.

Verantwortung abgeben – oder übernehmen?

Die meisten Frauen lassen sich heutzutage von der Frühschwangerschaft an von ihrem Frauenarzt beziehungsweise ihrer Frauenärztin betreuen. Stellt die Ärztin fest, dass das Baby im Bauch nicht mehr lebt, gibt es (sehr häufig) direkt eine Überweisung in das nächste Krankenhaus. Dort wird die Gebärmutter ausgeschabt, so dass das kleine tote Baby teilweise innerhalb von wenigen Stunden, nachdem die Eltern die traurige Nachricht erfahren haben, aus dem Bauch heraus ist. Vielen Frauen wird gar nicht erst die Möglichkeit gelassen, sich zu informieren, was da gerade passiert ist und wie sie mit der Situation umgehen können. Der Arzt übernimmt sofort die Verantwortung und bestimmt nicht selten über den Kopf der Schwangeren hinweg – ohne sie groß mit einzubeziehen.

Natürlich ist dies nicht immer so und es ist schön zu beobachten, dass es immer mehr Kliniken und gynäkologische Praxen gibt, in denen die Ärzt:innen sowie die Arzthelfer und Helferinnen den betroffenen Frauen mit sehr viel Empathie begegnen und die verschiedenen Möglichkeiten, das Kind im Bauch wieder gehen zu lassen, erklären. Im Laufe meiner Recherche zur ersten Auflage dieses Buches musste ich feststellen, dass das aber leider die Ausnahme der Regel ist. In den vergangenen zwei Jahren hat sich auf diesem Gebiet bereits einiges getan und es ist für mich sehr spannend und schön zu beobachten, wie immer mehr Praxen und Kliniken beginnen, kritischer über Ausschabungen zu sprechen und die alternativen Methoden mehr in den Fokus rücken. Dennoch bedarf es sehr, sehr viel mehr Aufklärungsarbeit.

Ich möchte dir gerne ein wenig zu den drei Möglichkeiten des „Abgangs“ erzählen, wobei ich mich hier auf die Sternenkinder beziehe, die sich innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen wieder verabschieden. .

Es darf nicht sein, dass über den Kopf der Frauen hinweg entschieden wird und der Frau keine Zeit bleibt, sich von dem kleinen Wunder im Bauch zu verabschieden.

Ausschabung oder Hausgeburt?

Bei einer Kleinen Geburt in den ersten zwölf Wochen hast du als Frau drei Möglichkeiten, dein Kind wieder gehen zu lassen: die Ausschabung, den medikamentös eingeleiteten Abgang und den natürlichen Abgang. Welche der drei Möglichkeiten die Richtige für dich, weißt nur DU. Fühle in dich hinein: Spüre, was sich jetzt gerade für dich gut anfühlt. Vertraue deiner weiblichen Intuition, deinem Körper, deinem Geist, deiner Seele und deinem Baby – alle gemeinsam wissen sie tief in dir drin, was für dich der richtige Weg ist. Ich kann dir Informationen und Erfahrungen an die Hand geben, aber was für dich das Beste ist, das kannst nur du wissen. Vertrau dir!

Hier in Deutschland ist aktuell die Ausschabung die gängige Praxis und viele Ärtzt:innen kennen auch gar keine Alternativen dazu. Eine Ausschabung geht schnell, ist gut planbar und kann gut überwacht werden und passt insofern gut in unser Gesellschaftssystem, in dem wir ja gerne kontrollieren und planen. Frauen, die ihr Kind „schnell loswerden“ möchten, können dies mit einer Ausschabung teilweise innerhalb von wenigen Stunden, meistens auf jeden Fall innerhalb von wenigen Tagen. Persönlich rate ich allerdings dazu, immer ein wenig Zeit für den emotionalen Abschied vergehen zu lassen, ehe man sich für eine Ausschabung entscheidet. Die liebevolle Annahme des verstorbenen Kindes im Bauch kann für den emotionalen Heilungsprozess sehr wichtig sein, daher lohnt es sich, ein paar Tage zu warten und liebevoll zu verabschieden. Grundsätzlich bringt eine Ausschabung, wie jede OP, eine Infektionsgefahr mit sich und so kann es sein, dass sich der Prozess des körperlichen Abschieds letztendlich doch sehr viel länger hinzieht als ursprünglich gedacht und gewünscht. Eine Infektion tritt meist in der Gebärmutter auf und kann sehr unangenehm und schmerzhaft sein. Auch Verletzungen in der Gebärmutterschleimhaut können eine Nebenwirkung der Ausschabung sein und insbesondere bei Frauen mit weiterem Kinderwunsch kann dies in der Folge zu Herausforderungen führen (da sich ein Ei in einer gut aufgebauten, intakten Gebärmutterschleimhaut besser einnisten kann). Außerdem kann es in sehr seltenen Fällen passieren, dass man in einer frühen Schwangerschaftswoche noch keinen Herzschlag sieht und daher vorschnell ausschabt, obwohl das Kind vielleicht eigentlich doch noch lebt. Bei einem natürlichen Abgang kann man dieses Risiko vermeiden. Ich selbst wurde einmal in eine Situation gebracht, in der ich meine lebende Tochter fast ausgeschabt hätte, weil mein Frauenarzt mir dazu geraten hat (er hat in der achten Woche keinen Herzschlag gefunden). Glücklicherweise habe ich mich damals intuitiv dagegen entschieden und meine Tochter kam acht Monate später gesund und munter auf die Welt.

Neben der Ausschabung gibt es noch die Optionen des natürlichen Abgangs – medikamentös eingeleitet oder spontan. An vielen Orten wird die Verabreichung eines Medikaments immer beliebter und wie bereits geschrieben, ist dieser Vorgang beispielsweise in Schweden bereits die Norm. Auch in Deutschland gibt es langsam, aber sicher, mehr und mehr Kliniken und Praxen, die auf diese Methode umschwenken. Die Vorteile einer medikamentös eingeleiteten Geburt sind die, dass der Abgang besser planbar ist als bei einem komplett natürlichen Abgang. Meistens geht die Geburt relativ zügig nach der Gabe des Medikaments los; das hängt allerdings auch von der Dosierung ab, mit der sich (leider) die Ärtz:innen vielerorts noch nicht so richtig auskennen und häufig noch zu kleine Dosierungen empfehlen. Das führt dann zwar zu Wehen und leichten Blutungen, jedoch nicht zu einer Geburt. Der wohl größte Nachteil an der medikamentös eingeleiteten Stillen Geburt ist – neben den Nebenwirkungen wie Fieber, Übelkeit und Durchfall – dass die Frau die Geburt häufig komplett allein oder mit ihrem Partner erlebt und von ihren Ärtz:innen in den seltensten Fällen tatsächlich darauf vorbereitet wird, was sie erwartet. Eine eingeleitete Geburt ist häufig sehr intensiv und auch in einer achten Woche drückt die Gebärmutter mit Hilfe von Wehen den kleinen Körper hinaus. Diese Wehen können mitunter genauso intensiv sein wie bei einer großen Geburt. Darauf und auf die Menge des Blutverlusts werden viele Frauen nicht vorbereitet und nicht selten landen sie dann am Ende doch wieder in der Klinik, weil sie sich zu Hause allein mit ihrem Schmerz Sorgen machen. Eine Stille Hausgeburt kann aber auch ganz anders ablaufen und damit sie so schön wie nur möglich wird, lege ich dir zwei Dinge ans Herz: Suche dir eine Hebamme und informiere dich.

Der komplett natürliche Abgang ist für viele Frauen die heilsamste Erfahrung der drei Optionen. Das liegt vermutlich daran, dass sie durch eine natürliche Geburt die Erfahrung machen, dass ihr Körper „das allein kann“ und das stärkt die Verbundenheit und das Vertrauen in den eigenen Körper. Der Nachteil des natürlichen Abgangs ist für viele Frauen das Warten. Es kann Tage, Wochen und manchmal Monate dauern, bis ein Kind sich von allein auf den Weg macht. Tatsächlich hängt dies auch viel mit den Emotionen der Frau zusammen. Wie du später in meinem Tagebuch lesen wirst, hat sich mein Kind erst auf den Weg gemacht, nachdem ich ihm bewusst die Erlaubnis gegeben habe, zu gehen. Vorher blieb es sechs Wochen lang tot in meinem Bauch. So gehen bei einem natürlichen Abgang der emotionale Abschied und der körperliche Abschied häufig Hand in Hand, was eine sehr heilende Erfahrung sein kann. Ich kenne Frauen, die vier Monate auf ihre Geburt gewartet haben – und erst, als sie seelisch wirklich bereit waren, Abschied zu nehmen, verabschiedete sich plötzlich auch der kleine Körper. Auch bei einer komplett natürlichen Geburt besteht natürlich wieder das Risiko, dass man sich völlig allein zu Hause wiederfindet und mit der Geburt überfordert ist. Bei einem natürlichen Abgang können – müssen aber nicht – die Wehen schwächer sein, als bei einer medikamentös eingeleiteten Geburt. Generell kann sich eine Stille Hausgeburt für verschiedene Frauen völlig unterschiedlich anfühlen; von einer stärkeren Periode bis zu sehr starken Wehen und starken Blutungen ist alles möglich. In der Regel hast du aber beim Warten auf einen natürlichen Abgang etwas Zeit, dich auf die Geburt vorzubereiten und dich zu informieren, wie sie abläuft, worauf du achten kannst und so weiter. Häufig geht die Geburt auch dann los, wenn du normalerweise das nächste Mal deine Periode bekommen würdest. Warte also mindestens einen Zyklus ab, wenn du dir einen natürlichen Abgang wünschst. Nutze die Zeit, um dir eine Geburtsbegleitung in Form einer Hebamme zu organisieren, oder bereite dich darauf vor, die Geburt allein oder mit deine:m Partner:in zu verbringen. Ich empfehle dir für die Vorbereitung auf deine Kleine Geburt den Podcast „Sternenkind Liebe“ und dann die Folge mit Franziska Maurer anzuhören.

Generell gilt für die Stille Hausgeburt: Suche dir jemanden, der dir zur Seite steht (idealerweise eine Hebamme), mache es dir zu Hause schön – mit Kissen, gedämpftem Licht, ätherischen Ölen … alles, was dir guttut. Stelle dir ein Sieb in die Toilette, damit dein Kind nicht in die Kloschüssel fällt und achte stets darauf, ob es dir (abgesehen von Wehen und Blutungen) gut geht. Wenn du Fieber bekommst, solltest du immer sofort in die Klinik fahren.

Bei einer spontanen Fehlgeburt sind all diese Informationen hinfällig; denn da geht es einfach plötzlich aus dem Nichts heraus los und ehe man sich versieht, ist das kleine Baby bereits geboren. Dennoch; auch hier darfst du dir bewusstmachen, dass du deine Geburt erst einmal in Ruhe zu Hause erleben kannst und dir Zeit und Ruhe dafür nehmen darfst. Du brauchst nicht direkt in die Klinik zu fahren – es sei denn, wie gesagt, es geht dir nicht gut.

Übrigens: die Gefahr, dass dein Baby im Bauch verwest, besteht nicht! Dieser Irrglaube kursiert leider immer noch in den Köpfen vieler Menschen und ich möchte ihn hier gerne widerlegen. Ein Baby im Bauch hat noch keinen Stoffwechsel und keinen Sauerstoff in seinem System. Es verwest daher nicht wie ein bereits geborener Mensch. Daher ist auch das Infektionsrisiko nicht höher als sonst, wenn dein Baby noch im Bauch ist; auch nicht, wenn es Wochen oder Monate darin bleibt (und wieder gilt: solange du dich gut fühlst. Wenn du Fieber hast oder dein Kreislauf instabil ist, ist es immer ratsam, eine Klinik aufzusuchen).

Ich wünsche mir eine Welt, in der eine Frau ganz selbstverständlich den Raum bekommt, den sie braucht, um Entscheidungen zu treffen, die sie glücklich machen.

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