Wie sich Mutterliebe anfühlt

Caro – zwei Fehlgeburten

Ich habe zwei Sternenkinder: Mika und Elia. Mika, mein erstes Kind, war eine wunderschöne Überraschung im Herbst 2017 – mein Mann und ich hatten nicht aktiv versucht, ein Kind zu bekommen, es aber auch nicht ganz akribisch verhindert. Vom Augenblick des positiven Schwangerschaftstests an freuten wir uns so sehr auf unser Kleines. Dass es Fehlgeburten gibt und dass diese in den ersten 12 Wochen häufiger vorkommen als im weiteren Schwangerschaftsverlauf, wussten wir, waren aber optimistisch und voller Vertrauen. Vor allem, als wir in der 11. Woche ein richtiges kleines Menschlein auf dem Ultraschallbild sahen, dachten wir, die kritische Phase sei überstanden und nun würde bestimmt alles gut gehen. Wir überlegten uns mögliche Namen, meldeten uns im Geburtshaus an und suchten uns schon einmal einen Kinderwagen aus. In der 15. Woche hatten wir den nächsten Ultraschalltermin und fuhren voller Vorfreude auf ein Wiedersehen mit unserem Kind zur Ärztin. Natürlich kam vorher kurz der Gedanke auf, ob wohl alles in Ordnung sei, aber mit den Worten „Es tut mir leid, ich kann leider keinen Herzschlag finden“ hätten wir beide niemals gerechnet! Wir waren schockiert und unglaublich traurig – die Schwangerschaft war bisher nach Lehrbuch verlaufen, es war immer alles in Ordnung, wie konnte das jetzt noch passieren? Vor allem die Tatsache, dass ich vorher nichts davon gemerkt hatte, machte mir zu schaffen. Wie konnte es sein, dass mein Kind im Mutterleib, am vermeintlich sichersten Ort, gestorben war und ich noch nicht einmal etwas davon mitbekommen hatte? Warum konnte ich mein Kind nicht beschützen, was doch meine Aufgabe als Mutter war? Es gab noch nicht einmal die Möglichkeit, um sein Leben zu kämpfen oder überhaupt irgendetwas anderes zu tun als zu trauern.

Wir lernten in dieser Zeit so viel, was wir eigentlich niemals lernen wollten: dass Fehlgeburten so viel häufiger vorkommen, als es den Anschein hat, da niemand darüber redet. Dass gerade dieser Ablauf, dass man als Mutter nichts davon merkt, ebenfalls sehr häufig passiert, solange noch keine Kindsbewegungen spürbar sind. Dass es in unserem Familien- und Freundeskreis schon einige Fehlgeburten gab, von denen wir bisher nichts wussten. Aber auch, dass es viel Hilfe für Sterneneltern gibt: meine liebe Hebamme im Geburtshaus, das ganze Team in der Frauenklinik hier in der Stadt, ehrenamtlich Engagierte, die eine Beerdigung für Sternenkinder organisieren und natürlich unser gesamtes Umfeld, denen wir zum Glück schon sehr früh von der Schwangerschaft erzählt hatten und die sich mit uns gefreut hatten. Mein Mann und ich waren zum Glück beide krankgeschrieben und konnten uns in Ruhe überlegen, wie es weitergeht. Vor allen weiteren Schritten nahmen wir uns ein Wochenende Zeit, um alles zu verarbeiten und gemeinsam einen Namen auszusuchen, der zu beiden Geschlechtern passt, da wir das Geschlecht nicht erfahren würden.

Mir wurde zur Wahl gestellt, direkt eine Ausschabung machen zu lassen oder über eine Geburtseinleitung Mikas Körper selbst zur Welt zu bringen (mit anschließender Ausschabung, da diese nach der 12. Woche meistens nötig ist). Ich entschied mich für die zweite Option, da ich die Vorstellung, einzuschlafen und mit leerem Bauch aufzuwachen, noch viel schlimmer fand. So konnte ich mich wenigstens verabschieden und diese Zeit ganz bewusst mit Mika verbringen. Nachdem alles überstanden war, konnten wir Mika sehen. Sie hatten seinen Körper in bunte Tücher gehüllt und in ein kleines Körbchen gelegt und wir konnten ihn sogar die eine Nacht, die ich zur Beobachtung noch in der Klinik bleiben sollte, bei uns im Zimmer behalten. Die Fotos von Mika und uns dreien zählen zu meinen wertvollsten Besitztümern.

Körperlich war alles ziemlich unkompliziert, ich überstand die OP sehr gut, wurde einige Wochen krankgeschrieben und bekam ziemlich schnell die ärztliche Erlaubnis, wieder zu versuchen, schwanger zu werden. Psychisch war es nicht ganz so einfach – wir nahmen uns noch einige Monate, um alles zu verarbeiten und in Ruhe mit unserer Trauer fertigzuwerden. In dieser Zeit unternahmen wir bewusst Dinge, die uns guttun, suchten uns eine schönere Wohnung, fuhren zum ersten Mal so richtig weit weg in den Urlaub und gönnten uns etwas mehr Restaurantbesuche und Thermenausflüge als sonst.

Im Winter 2018 trauten wir uns dann wieder, die Verhütung wegzulassen und waren überrascht, wie lange es dauern kann, schwanger zu werden. Da Mika eine Überraschung war, musste ich erst einmal realisieren, dass es im Durchschnitt mehrere Monate dauert, auch wenn man den Zeitpunkt des Eisprungs kennt und beachtet. Bei uns war es im Herbst 2019 so weit: endlich ein positiver Schwangerschaftstest! Mit der Freude kam jedoch die mindestens genauso große Angst. Würden wir auch dieses Kind verlieren, das wir doch sofort schon so sehr liebten wie seine*n große*n Bruder/Schwester? Ich trauerte um die verlorene Unbefangenheit und die Tatsache, dass eine Schwangerschaft voller reiner Freude und ohne Angst wohl für mich nicht mehr möglich sein würde.

Unsere Ärztin ist zum Glück sehr einfühlsam und verständnisvoll, wir konnten sehr früh schon ein Ultraschallbild machen, um zu sehen, ob das Herz schlägt. So sahen wir in der 7. Woche ein kleines flimmerndes Pixel auf dem Monitor! Eine große Freude, wenn auch sehr vorsichtig… Abgesehen von der dauerhaften Angst verlief die Schwangerschaft sehr ähnlich wie die erste: mir war oft schlecht, ich war unglaublich müde und etwas unkonzentriert, aber sonst wohlauf. Auch dieses Mal erzählten wir unserem Umfeld direkt nach dem ersten Ultraschalltermin davon, da wir insgesamt sehr offen mit dem Thema umgehen und unsere Freude teilen wollten – und falls es wieder nicht gut ausgeht, würden das unsere Familie, Freunde und Arbeitskollegen sowieso mitbekommen.

Leider wurden unsere Ängste bestätigt, als ich in der 10. Woche eines Morgens eine sehr leichte Blutung feststellte und wir sofort zur Ärztin fuhren. Auch dieses Mal mussten wir wieder die Worte hören: „Es tut mir leid, aber ich finde keinen Herzschlag“. Unser zweites Kind hatte in der 8. Woche aufgehört, zu wachsen und niemand konnte uns sagen, warum. Wie betäubt fuhren wir nach Hause, wieder für einige Zeit krankgeschrieben. Wieder informierten wir unsere Lieben, suchten einen neutralen Namen aus, googelten den Termin für die nächste Sternenkinderbeerdigung. Dieses Mal konnte ich in Abstimmung mit meiner Ärztin und meiner Hebamme auf Geburtseinleitung und Ausschabung verzichten, da die Schwangerschaft noch nicht so weit fortgeschritten war. Wir warteten also, dass mein Körper allein damit zurechtkam, was nach ca. zwei Wochen auch passierte. Am schwersten zu verarbeiten war dieses Mal, dass ich Elias Körper nicht sehen konnte – ich blutete einfach nur, hatte einen Abend lang ziemlich starke Wehen und eine Woche lang Bauchkrämpfe, aber sah außer Blutklumpen gar nichts, was auf ein Kind hindeutete. Von Mika haben wir zumindest ein schönes Ultraschallbild und einige Fotos, von Elia nur das eine Bild mit dem flimmernden Pixel.

Insgesamt war ich verwundert über mich selbst, weil ich bei Elias Verlust nicht so zusammengebrochen bin wie bei Mika. Ich habe weniger geweint und im Alltag schneller wieder funktioniert. Einige Zeit lang habe ich mich deshalb schuldig gefühlt: ich habe Elia doch genauso geliebt, warum bin ich dann anders traurig? Mit der Zeit wurde mir jedoch bewusst, dass ich jetzt ganz anders auf die Situation vorbereitet war. Mikas Tod war der erste schwere Verlust in meinem Leben, das erste Mal trauern und das noch dazu so unerwartet und so abrupt nach der großen Freude über die Schwangerschaft. Bei Elia war ich gezwungenermaßen darauf vorbereitet und kannte das Gefühl schon. Es war der gleiche Schmerz, mit dem ich seit 2017 sowieso jeden Tag lebe.

Elias Tod ist nun fünf Monate her. Wir sind noch nicht am Ende dieser Reise angekommen, verarbeiten noch unsere Trauer, aber beginnen nun auch, mit ärztlicher Unterstützung nach möglichen Gründen zu suchen. Mir hilft es, darüber zu sprechen: mit meinem Mann und meinen anderen liebsten Menschen, aber auch generell bin ich meinem Umfeld gegenüber sehr offen. Nicht alle Menschen reden über so traurige Ereignisse, aber ich möchte, dass diejenigen, denen es hilft, die Gelegenheit dazu haben. Ich habe gelernt, wie unterschiedlich der Umgang mit dem Verlust von ungeborenen Kindern ist – einige Sterneneltern betrachten das eher nüchtern, als Versuch, der eben nicht geklappt hat, was ihnen bestimmt sehr hilft. Für mich ist es anders: Mika und Elia sind meine ersten beiden Kinder, egal, ob danach noch ein lebendes Kind kommt. Ich habe reale Personen verloren, die ich zwar noch nicht kannte, aber um die ich genauso trauere wie um jeden anderen Verlust.

Sehr wichtig für mich war die liebevolle und einfühlsame Reaktion der meisten Personen in unserem Umfeld. Meine Ärztin und meine Hebamme haben mir damals bei Mika direkt sehr eindrücklich gesagt: „Sie sind nicht schuld. Sie haben nichts falsch gemacht und hätten das nicht beeinflussen können“. Im Krankenhaus wurde mir das Gleiche vermittelt: es ist ein Schicksalsschlag, kein persönliches Versagen. Besonders geholfen hat mir, in alle Entscheidungen einbezogen zu werden. Ich hatte die Wahl, bei Mika die Geburtseinleitung zu versuchen oder gleich die Ausschabung zu machen. Bei Elia hätte ich jederzeit auch ins Krankenhaus gehen können. Meine Entscheidungen wurden akzeptiert und aktiv unterstützt – ich bin überzeugt, dass diese Selbstbestimmtheit eine wesentliche Rolle bei der Verarbeitung des Ganzen spielt.

Früher einmal war ich gläubig, habe sogar evangelische Theologie studiert und wollte Religionslehrerin werden. Noch während meines Studiums habe ich gemerkt, dass meine Zweifel wuchsen und ich mich beruflich umorientieren musste, um mir selbst gegenüber ehrlich zu bleiben. Durch die Beerdigungen, die bei uns in der Stadt von den beiden Kirchen mit einer ökumenischen Andacht begleitet werden, wurde mir das bestätigt. Es war gut, ein Ritual zur Verabschiedung zu haben, aber der Glaube an einen Gott gehört nicht zu den Dingen, die mir helfen. Auch andere Formen der Spiritualität – mit denen ich ebenso aufgewachsen bin wie mit der evangelischen Kirche – helfen mir nicht, meine Trauer zu verarbeiten, im Gegenteil, diese beiden Schicksalsschläge haben mich emotional eher davon entfernt. Was mir hilft: vor allem mit meinem Mann sprechen. Mich mit Arbeit und kreativen Projekten ablenken. Meinen Körper beim Yoga oder auf dem Crosstrainer verausgaben. Alles aufschreiben, was mir auf der Seele lastet. Mir bewusst machen, dass es im Alltag trotzdem viele glückliche Momente und viele kleine Freuden gibt – dass mein Leben trotz allem sehr schön ist.

Mit meinem Körper bin ich nach den beiden Schwangerschaften mehr im Reinen als vorher. Mikas Verlust hat das Vertrauen in meinen Körper zuerst sehr erschüttert, da ich ja nicht mitbekommen hatte, dass etwas nicht stimmte. Die Geburtseinleitung und die Genesung nach der OP haben mir das Vertrauen ein Stück weit zurückgegeben, aber so richtig ausgeglichen wurde mein Körpergefühl erst wieder nach der Schwangerschaft mit Elia und der Tatsache, dass mein Körper das ganz allein verarbeiten konnte.

Wir wissen immer noch nicht, was die Ursache dafür war und werden es vielleicht auch nie erfahren. Meine Kinder vermisse ich jeden Tag und dieser stechende Schmerz in meinem Herzen wird mich bis an mein Lebensende begleiten, aber ich habe gelernt, damit zu leben. Auch wenn ich immer ein bisschen traurig sein werde, kann ich gleichzeitig glücklich und dankbar für alles Schöne in meinem Leben sein. Dankbar bin ich auch über diese paar Wochen und Monate, die ich mit meinen Kindern verbringen konnte. Sie haben mir gezeigt, wie sich Mutterliebe anfühlt. Und solange ich meinen Mann habe, wir das alles teilen und zusammen durchleben, ist das Wesentliche in meinem Leben in Ordnung.

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